Das Studium und die Beratung von internationalen Unternehmerfamilien ist die Passion von Randel Carlock. Der aus den USA stammende Carlock lehrt Family Business an der INSEAD Business School in Fontainebleau und Singapur. In seiner Forschung, Lehre und Beratung kombiniert er Management-Techniken und Ansätze aus der Familientherapie, um den langfristigen Erfolg von Unternehmerfamilien zu sichern. Mit mir spricht Randel Carlock darüber, wie wichtig Planung innerhalb von Unternehmerfamilien ist, und zwar sowohl für das Unternehmen als auch für die Familie. Gemeinsam mit Professor John L. Ward von der Kellogg Business School entwickelte er den “Parallel Planning Process”, mit dem Familienunternehmen eine ihrer großen Stärken erhalten können – ihren langfristigen, wertebasierten, unternehmerischen Geist.
Seien Sie professionell emotional – behandeln Sie Ihr Unternehmen wie eine Familie und Ihre Familie wie ein Unternehmen.
Viebahn: Sie haben selbst mehr als ein Unternehmen gegründet. Sie haben als externer Manager für Target gearbeitet, ein an der NYSE gelistetes Familienunternehmen. Sie erforschen seit Jahren Familienunternehmen. Und Sie beraten Unternehmerfamilien in der ganzen Welt. Was macht für Sie die Faszination an Familienunternehmen aus?
Carlock: Es ist wohl die anspruchsvollste akademische Disziplin, die an Universitäten gelehrt wird. Der Fokus liegt nicht nur auf den harten Fakten und Management-Faktoren. Die menschlichen, psychologischen und sozialen Aspekte sind hier gleichermaßen wichtig. „Family Business” ist damit die einzige Disziplin, die diese so unterschiedlichen Welten in der tiefen Interaktion zwischen Familie und Unternehmen vereint. Daher ist es das herausforderndste Feld, in dem ich jemals gearbeitet habe.
Viebahn: Der Titel Ihres aktuellsten Buches lautet “When Family Businesses are Best.” In diesem Buch beschreiben Sie zwei Ideen, mit denen Familienunternehmen ihre Stärke entwickeln können. Die erste, “Stewardship”, ist eine Art Grundeinstellung im Umgang mit einem Unternehmen. Die zweite, der “Parallel Planning Process”, ist eher ein praktisches Werkzeug für Unternehmerfamilien. Was ist Stewardship und warum ist es so wichtig?
Carlock: Stewardship bedeutet, dass ich einen Gegenstand, ein Unternehmen oder eine Familie in einem besseren Zustand weiterreiche, als ich es erhalten habe. Es geht hier um Geschäftsergebnisse und Nachhaltigkeit, um Leistungsfähigkeit einer Familie und um Harmonie. So gerne wir es auch vorgeben, es ist nicht immer die primäre Motivation von CEOs börsennotierter Unternehmen. Diese sind viel stärker auf kurzfristige Gewinne ausgerichtet, weil so ihr persönliches Ergebnis gemessen wird. Stewardship ist jedoch ein wichtiger Kern erfolgreicher Familien. Es generiert eine Einstellung, über die nachfolgenden Generationen nachzuden-ken und auch über die nächsten 20-30 Jahre dafür Sorge zu tragen.
Viebahn: Und beim Parallelen Planungs-Prozess geht es um die Professionalisierung des emotionalen Teils der Familie, sozusagen um Stewardship langfristig zu ermöglichen?
Carlock: Das ist genau richtig. Ich rate Familien immer: Behandeln Sie Ihre Familie wie ein Unternehmen, und behandeln Sie Ihr Unternehmen wie eine Familie. Seien Sie offener, emotionaler und sorgsamer mit dem Unternehmen. Seien Sie strukturierter und professioneller mit Ihren Entscheidungen innerhalb der Familie. Innerhalb einer Familie werden Sie immer Emotionen im Überfluss haben. Die Herausforderung liegt darin, „professionell emotional“ zu sein. Das ist ein Oxymoron, und die Worte werden nicht häufig gemeinsam benutzt. Familien sollen sich auf jeden Fall ihre Emotionalität bewahren, und auch das Unternehmen darf nicht nur rational geführt werden. Für mich ist VW ein gutes Beispiel. Wenn man sich Herrn Piëch ansieht, so erkennt man auf Anhieb nicht gerade viele Emotionen bei ihm. Er ist Ingenieur und Stratege. Aber die Übernahme von Porsche war durchaus emotional. Sehen sie sich doch einmal ein Foto von Herrn Piëch als kleiner Junge an, der neben seinem Großvater Ferdinand Porsche steht. Wie er zu seinem Großvater aufsieht. Welchen Ausdruck er in den Augen hat. Dann macht die Übernahme sehr viel Sinn. Und das ist es, was ich mit emotional meine. Kein Umarmen und Küssen, sondern echte Passion. Oder nehmen Sie Bernard Arnault von Louis Vuitton. Er ist ein Marketing Genie, das seine ganze Kraft in den Aufbau von Marken für exklusive Luxusartikel steckt. Der emotionale Antrieb der Familie Cargill wiederum ist es, die Welt zu ernähren. Selbstverständlich verdient die Familie daran auch gut. Ihre wahre Intention ist aber nicht geldgetrieben. Wenn Sie Ihren Klienten eines sagen sollten, dann das: „Bleiben Sie bei Ihrer Passion.“
Viebahn: Was macht denn nun den Parallel Planning Process aus? Gibt es einen einfachen Weg zur Beschreibung, wie man professioneller emotional wird?
Carlock: Eine einfache Metapher, die ich von meinem Kollegen Ivan Landsberg habe, beschreibt den Parallel Planning Process recht anschaulich. Stellen Sie sich vor, Ihre Unternehmerfamilie hat ein eigenes Flugzeug und geht damit auf Reisen. Ich denke, jeder stimmt mir darin zu, dass ein Flug eine ernstzunehmende Sache ist, die einer gewissen Planung und entsprechender Entscheidungen bedarf. Ein Familienunternehmen zu besitzen, ist da ganz ähnlich wie solch ein Flug. Es bedarf der Planung eines Ziels (Vision), einer Crew (Familienmitglieder oder externe Manager) und einer Flugroute (Strategie), bevor man sicher abheben kann. Das Entscheidende am Parallel Planning Process ist die Reduktion des Risikos zu vieler Piloten, die alle unterschiedliche Flughäfen ansteuern. Wenn die Familie und das Management aber eine klare Vision haben, dann wissen sie auch, wie viel Treibstoff gebraucht wird, wie viele Piloten, wie viele Passagiere mitgenommen werden können und welchen Flugplan sie benötigen, um am Ziel anzukommen. Wenn die Piloten einen Flugplan (Unternehmensstrategie) auf Basis der Wünsche der Passagiere (Eigentümer) entwickeln, die Wettersituation (Ökonomisches Umfeld) beachten und von der Luftüberwachung (Aufsichtsrat) geleitet werden, dann gibt es eine gemeinsam akzeptierte Entscheidung aller, auch im Flugzeug zu bleiben.
Stellen Sie sich vor Ihrer Familie gehört ein Flugzeug und Sie gehen auf Reisen.
Und es gibt hier auch nicht den geringsten Zweifel daran, wer das Flugzeug fliegen soll – ein professioneller Pilot mit ausreichend Flugstunden, allen Lizenzen und einem professionellen Flugplan. Um auf Kurs zu bleiben, bedarf es selbstverständlich funktionierender Instrumente (Controlling) und einer fähigen Luftüberwachung (Aufsichtsrat). So wird beispielsweise auch die notwendige Wartung (Investitionen) sichergestellt, um das Flugzeug sicher in der Luft zu halten. Und so wird während des Fluges auch selten die Frage gestellt, die häufig zu Konflikten in der Familie führt: „Wer kann während des Fluges den Flugplan ändern?“ Diese Frage muss vorher geklärt werden.
Viebahn: So beschrieben benötigt der Parallel Planning Process insbesondere bei großen Familien einen sehr hohen Kommunikationsaufwand.
Carlock: Jee Familie, ob Unternehmerfamilie oder nicht, hat nur eine Möglichkeit, eine Einigung zu erzielen, und das ist Kommunikation. Um die Beziehungen zu verbessern und Vertrauen zu generieren, bedarf es der Kommunikation. Egal, wo auf der Welt sie zu einer Familientherapie gehen, die Sitzung wird sich stets darum drehen, wie Ideen und Informationen innerhalb der Familie kommuniziert werden können. Wie kann die Kommunikation verbessert werden? Es geht nicht immer zwangsläufig um die direkte Lösung von Problemen. Wenn Kommunikation stattfindet, besteht zumindest die Basis für die gemeinsame Lösung von Problemen. Und das ist, was den Parallel Planning Process auszeichnet. Jedes Unternehmen muss planen. Es geht um Werte, Visionen, Strategie, Investitionen und Aufsicht. Die Unternehmen, die das nicht machen, werden früher oder später Probleme haben. Wir sagen, dass auch jede Familie in diesen Dimensionen planen muss. Erfolgreiche Familien müssen also darüber reden, wie man das Eigentum am Unternehmen weitergibt oder wer der nächste CEO sein soll. Tatsächlich ist die Planung der Familie sogar noch wichtiger als die des Unternehmens, da sie die Grundlage für alle Planungen des Unternehmens ist.
Viebahn: Insbesondere die Nachfolge in Eigentum und Management sind hier wichtige Entscheidungen, die frühzeitig zu klären sind.
Carlock: Definitiv! Es dauert bis zu 20 Jahre, um einen CEO aus der Familie heraus inkl. Studium und Berufserfahrung zu entwickeln. Wenn Sie einen externen CEO möchten, beauftragen sie einen Personalberater und in 4 Monaten haben Sie Ihren neuen CEO.
Viebahn: Nach 4 Monaten haben Sie die Unterschrift eines Kandidaten. Unter Berücksichtigung der Kündigungsfristen sollte man aber auch hier frühzeitig über die Suche nachdenken. Es kann schon etwas dauern, bis der optimale Kandidat dann auch wirklich an Bord ist.
Carlock: Richtig, aber auf jeden Fall sind die Zeithorizonte der Planung innerhalb der Familie enorm. Höre ich häufig die Einstellung einiger Unternehmer: „Es wird sich schon irgendwie ergeben.“ Wenn man es aber mit der langfristigen unternehmerischen Verantwortung wirklich ernst meint, dann plant man aktiv voraus. VW ist hier wiederum ein gutes Beispiel. Herr Piëch hat angekündigt, dass seine Frau seine Position im Aufsichtsrat übernehmen soll, wenn er diese Position nicht mehr wahrnehmen können sollte. Ich bewerte nicht, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist. Ich sage aber, dass es gut ist, dass er einen Plan hat und diese Familie nicht kurzfristig von heute auf morgen führungslos sein wird. Man braucht eine designierte Führungsperson, und deren Bestimmung sollten sich alle Unternehmerfamilien widmen.
Viebahn: Woher stammt die Idee zum Parallel Planning Process?
Carlock: Meine Erkenntnisse stammen aus meiner praktischen Arbeit mit der Familie Cargill; eine der größten Unternehmerfamilien der Welt. Das Unternehmen gehört den Cargills und den angeheirateten Macmillans, wobei die Cargills inzwischen einen Minderheitsanteil besitzen. Sie können sich sicher vorstellen, wie es ist, wenn Ihre angeheiratete Familie das Unternehmen übernimmt. Sagen wir, es gibt dann emotionale Spannungen. Während meiner Arbeit mit den Cargills habe ich schnell gemerkt, dass die Planung des Unternehmens zwar wichtig ist. Was grundsätzlich fehlte, war aber die Planung der Familien selber. Als wir dann begannen, unser Buch über Strategien für Familienunternehmen zu schreiben, haben wir die Planungsidee entwickelt und ausgearbeitet. Wir merkten schnell, dass Unternehmensplanungen immer relativ ähnlich aussehen, Familienplanungen aber immer sehr individuell sind. Alles muss genau an die individuellen Bedürfnisse angepasst sein und die Werte der Familien reflektieren. Da gibt es keine einfachen, vorgefertigten Antworten.
Viebahn: Die Planung hängt bestimmt sehr stark von der jeweiligen Kultur der Familie ab.
Carlock: Genau. In der westlichen Hemisphäre versuchen wir zum Beispiel die fähigste Person zu finden und machen diese zum CEO des Familienunternehmens. Ob Familienmitglied, externer Manager, männlich, weiblich, das ist uns eigentlich egal, solange es die talentierteste Person für diese Herausforderung ist. Leistungsgesellschaft ist eine Art Wert in der westlichen Welt. In Asien ist der erstgeborene Sohn der präferierte Kandidat für die CEO-Position. Selbst dann, wenn er nicht der am besten qualifizierte Kandidat ist. Diese kulturellen Unterschiede erlauben keine weltweit gültigen Lösungen. Daher determinieren in der Planung die Werte der Familie die weitere Familien- und Unternehmensplanung. Sollte also im asiatischen Fall der älteste Sohn der bevorzugte Kandidat sein, dann muss sichergestellt werden, dass dieser die bestmögliche Ausbildung mit den besten Praktika, den herausforderndsten Projekten bekommt und er von den besten Mentoren betreut wird. Das ist der Grund, warum unser Buch derzeit auf der ganzen Welt so erfolgreich ist. Wir sagen nicht, was die Familien machen sollen, sondern wie sie sich das selber errbeiten können.
Viebahn: Gibt es aus Ihrer Sicht für externe Manager besondere Fähigkeiten oder Persönlichkeitsmerkmale, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit in Familienunternehmen sind. Der Umgang mit einer Familie unterscheidet sich doch signifikant vom Umgang mit einem extern besetzten Aufsichtsrat.
Carlock: Es gibt keine wissenschaftliche Bestätigung, dass einzelne Persönlichkeitsmerkmale Unterschiede in der Führung machen. Mandela, Gandhi und Churchill hatten komplett unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale und waren doch alle große Führungspersönlichkeiten. Grundsätzlich ist es aber für einen Leader wichtig, ein hohes Maß an Selbstwahrnehmungsfähigkeit und sozialer Wahrnehmung zu haben. Leader müssen wissen, wofür sie stehen und auf welche Weise sie führen wollen. Externe Manager sind grundsätzlich sehr wichtig für Familienunternehmen, da bei steigender Größe und Komplexität die besten Persönlichkeiten gebraucht werden, die es gibt. Das gilt zunehmend auch für asiatische Familienunternehmen. Die wichtigste Aufgabe der externen Manager ist der Ausgleich aller Stakeholder mit den Erwartungen der Familie. Wenn jemand das vernachlässigt, bleibt er meistens nicht lange in seiner Position. Am Ende des Tages steht doch immer noch der Familienname der Eigentümer am Gebäude. Das muss man einfach respektieren.
Leader benötigen ein hohes Maß an Selbstwahrnehmungsfähigkeit.
Viebahn: Das stimmt und zeigt wieder einmal, dass das Finden eines exzellenten Managers nur ein Teil der Gleichung ist. Die größere Herausforderung ist die gute Integration der Person in das Unternehmen und die Anbindung an die Familie.
Carlock: Eine Möglichkeit ist hier die langfristige Entwicklung eines eigenen Talent-Pools aus Familie und Externen. Das Unternehmen Cargill ist 150 Jahre alt, was für amerikanische Standards recht alt ist. Jeder CEO in der Firmengeschichte ist innerhalb des Unternehmens entwickelt worden. Durchschnittlich haben diese 25 Jahre in dem Unternehmen gearbeitet, bevor sie CEO wurden, weil es der Familie wichtig war sicherzustellen, dass das Management die Kultur der Familie und des Unternehmens komplett versteht. Das gilt nicht nur für Familienunternehmen. GE geht ähnlich vor. Als Jack Welsh in den Ruhestand ging, gab es fünf interne Kandidaten für die CEO Position. Einer wurde CEO und die anderen wurden CEOs in anderen Fortune 500 Unternehmen. Die Entwicklung des eigenen Talentes ist eine gute Investition.
Viebahn: Was uns wieder zum Parallel Planning Process führt. Die Investition in Menschen und in das Unternehmen sind wichtige Punkte in der Abstimmung innerhalb der Familie.
Carlock: Definitiv! Ich sage börsennotierten Unternehmen immer: Vergessen Sie Ihre Vergütungskomitees und etablieren Sie Talent-Komitees. Jack Welsh wiederum verfolgte den Werdegang von 200 Mitarbeitern bei General Electric, weil er wusste, er braucht einsatzfähige CEOs und CFOs für jeden Geschäftsbereich. Die ganze Idee des Talent Managements besteht in der Schaffung eines tief gestaffelten Talent-Pools. Ganz wie bei einer Fußballmannschaft. Das erfolgreichste Team ist immer das mit der besten Einstellung und den am besten ausbalancierten Talenten. Es geht nicht um ein Supertalent. Wenn Sie einen David Beckham haben und der Rest des Teams schwach ist, dann gewinnen Sie eben keine Weltmeisterschaften.
Vergessen Sie Vergütungskomittees und etablieren Sie Talent-Komittees.
Viebahn: Und trotzdem scheinen sich insbesondere Unternehmerpersönlichkeiten eher an kurzfristigem operativem Handeln zu orientieren, als ein Augenmerk auf das gesamthaft Langfristige zu legen. Haben Sie konkrete Beispiele dafür, dass der Parallel Planning Process den Familien wirklich hilft?
Carlock: In unserem Buch finden sich viele Beispiele dafür. Eine der bekannten Familien Englands ist z.B. die Wates Construction Familie. Diese Familie hat vor 5-6 Jahren einen Nachfolgeprozess begonnen. Es gab zwar Kinder in der Familie, es gab aber niemanden, der direkt die Aufgabe des CEOs oder Aufsichtsratsvorsitzenden hätte übernehmen können. Daher hat die Familie für beide Positionen externe Manager geholt. Parallel dazu hat die Familie über 5 Jahre daran gearbeitet, den Talentpool innerhalb der Familie weiterzuentwickeln. Im April wird nun einer der Söhne, der bereits lange in der Firma gearbeitet hat und sehr gezielt auf die neue Position vorbereitet wurde, Vorsitzender des Aufsichtsrates. Ich denke, dass ist ein schönes Beispiel dafür, wie über gute Planung und Abstimmung in der Familie das Unternehmen gestärkt werden kann. Das ganze Thema ist eigentlich intellektuell nicht besonders schwer und bedarf keines Raketentechnikers. Die Herausforderung liegt ganz klar in der Umsetzung. Jedes Unternehmen wurde irgendwann von einem Unternehmer gegründet. Unternehmer sind Männer und Frauen der operativen Tat. Und diese Stärke ist zugleich auch eine Schwäche. Unternehmer sehen Chancen und greifen nach ihnen. Die Stärke wird dann zur Schwäche, wenn die Organisation um den Unternehmer nicht mithalten kann oder die Organisation den Verlust des Unternehmers nicht kompensieren kann. Hieran sehen Sie die Wichtigkeit von Planung.
Viebahn: Neben der Besetzung von externen Führungspositionen für Familienunternehmen helfen wir auch Unternehmerfamilien beim Aufbau ihrer Family Offices. Wie sehen Sie die Rolle von Family Offices innerhalb der Familien?
Carlock: Eines der Ziele von Unternehmerfamilien ist, wie bei anderen Unternehmen auch, finanziell erfolgreich zu sein. Ein Family Office ist ein sehr guter Weg zur Verwaltung des Familienvermögens sowie zur Organisation weiterer unternehmerischer Aktivitäten jenseits des angestammten Familienunternehmens. So kann beispielsweise auch eine finanzielle Basis für philanthropische Aktivitäten geschaffen werden, oder es kann Familienmitgliedern, die nicht im Unternehmen arbeiten, die finanzielle Freiheit bieten, ohne wirtschaftlichen Druck einen beliebigen Beruf auszuüben. Jenseits der zweiten oder dritten Generation arbeitet sowieso die Mehrheit der Familienmitglieder nicht mehr operativ im Unternehmen. Hier dient das Family Office auch als wichtiger Kristallisationspunkt für die Familie. Insbesondere philanthropische Aktivitäten drücken die Werte der Familie aus und bilden eine Art sozialen Klebstoff, der die Familie emotional zusammenhält. Family Offices und Philanthropie benötigen aber ebenfalls die parallele Planung. Jede Organisation, ob profitorientiert oder nicht, muss darüber nachdenken: “Was sind unsere Werte? Was ist unsere Vision? Wie ist unsere Strategie zur Erreichung der Ziele? Was wollen wir investieren? Wie wollen wir entscheiden? Und wie halten oder vergeben wir Verantwortlichkeiten?“ Das Schöne am Parallel Planning Process ist, dass er nicht rein geschäftszentriert ist. Der Prozess hilft jeder Organisation. Betriebswirtschaftliche Fakultäten fokussieren sich auf eher technische Themen, die man quantifizieren kann und sie ignorieren die Themen, die man nicht quantifizieren kann. Die eigentliche Kernfrage lautet doch: “Wie erschaffen wir eine bessere Organisation?” und nicht, “Wie optimieren wir die Bilanz?” Je mehr wir die Planung und Kommunikation stärken, desto eher können wir die Organisation als Ganzes stärken.
Jede Organisation benötigt Planung.
Viebahn: Wie sollten Familien starten, die bisher noch nicht in dieser Form aktiv geplant haben?
Carlock: Das ist genau das, was wir in INSEAD unterrichten. Also, wie sollten sie starten? Es gibt einerseits eine ganze Menge Faktoren und andererseits bedarf es auch nicht viel. Es gibt bekanntlich Bücher, mit deren Hilfe man starten kann, um sich der Herausforderungen bewusst zu werden und gemeinsam über die Optionen der Familie zu diskutieren. Viele Business Schools bieten Kurse für Unternehmerfamilien an. INSEAD bietet zum Beispiel ein fünftägiges Programm für Unternehmerfamilien zu deren Unterstützung bei der Verbesserung der Planung und Kommunikation an. Es gibt das Family Business Network – eine internationale Organisation von Unternehmerfamilien mit regionalen und globalen Konferenzen. Ein weiterer guter Startpunkt ist die Young Presidents Organization (YPO). Viele der Top-Privatbanken bieten Programme für ihre unternehmerische Kundschaft an. Die Privatbanken haben natürlich ein Interesse daran, dass ihre Familien erfolgreich bleiben und finanzieren Schulungen als Teil der Kundenbindung.
Viebahn: Wie ist Ihre Sicht auf die deutschen Familienunternehmen?
Carlock: Grundsätzlich sind Familienunternehmen ein globales Phänomen, aber in Deutschland sind sie besonders stark. Die deutschen Familienunternehmen und der deutsche Mittelstand sind sehr wichtige Gründe dafür, dass Deutschland in Europa und der Welt so erfolgreich ist und eine globale Handelsmacht wurde. Unternehmen mit 50-500 Millionen Euro Umsatz sind der Kern der deutschen Wirtschaft. Ich nenne immer VW oder BMW als Beispiel, weil dieses weltbekannte Marken sind. Allerdings sind es deren 500 Zulieferer, die VW und BMW erfolgreich machen. Und viele von den Zulieferern sind wiederum Familienunternehmen. Das ist das deutsche Geheimnis.